Bausteine der Demokratie. Architektur als Ausdruck gesellschaftlicher Haltung

Kann Architektur als Gradmesser für das demokratische Selbstverständnis einer Gesellschaft verstanden werden? Gerade an Gebäude im Kontext von Politik, Bildung und Demografie richtet sich die öffentliche Erwartung als Manifest der Demokratie die gesellschaftliche Haltung zu visualisieren. Auch im Umgang mit der gebauten Umwelt aus undemokratischen Epochen der eigenen Geschichte zeigt sich die gegenwärtige Verfasstheit der Gesellschaft. Podiumsdiskussion in der Reihe "Gesellschaftliche Verantwortung. Demokratie als Privileg und Verpflichtung" von Prof. Dr. Martina Ortner, OTH Regensburg.

Podium: Dr.in habil. Regine Hess (Architekturmuseum München / TUM), Dr.in Dorothea Roos (Bauhaus Dessau), Prof.in Dr. Elke Nagel (OTH Regensburg)

Moderation: Prof. Andreas Emminger

 

In Impulsvorträgen wurden Gebäude und Siedlungen auf ihre Intention befragt und ihr weiterer Lebensweg hinterfragt:

Die Bundesschule Bernau als Produkt der Architekturlehre des Bauhauses war für die gewerkschaftliche Volksbildung bestimmt, wurde in konträren politischen Verhältnissen jeweils innerhalb der ideologischen Rahmenbedingungen konsequent weitergenutzt. Dr. Dorothea Roos stelle das Bildungsbauwerk mit seinem Gestaltungskonzept und den charakteristischen Bauelementen vor und beleuchtete die wechselhafte Nutzungsgeschichte. Bemerkenswert ist die Resilienz des architektonischen Konzepts und sein starker Einfluss auf die Nutzerinnen und Nutzer des Gebäudes.

Dr. Regine Hess befasst sich mit der Wechselwirkung zwischen Architektur und Migration, hier am Beispiel der Siedlungsgeschichte von Waldkraiburg und Eisenhüttenstadt. Als Einstieg hielt sie mit der Prägung des Brandenburger Tors auf Münzen als nationales Symbol der politischen Identität über die Systemgrenzen hinweg, nämlich sowohl auf den Euro-Münzen wie auf den 2-Mark-Münzen der DDR, der Zuschreibung des Prädikats demokratisch einen Spiegel vor. Im Vergleich der beiden exemplarischen Siedlungen zeigte sie den Einsatz von Architektursprache als nonverbales Kommunikationsmittel gesellschaftlicher Haltung auf.

Das weite Spannungsfeld zwischen dem nationalsozialistischen Konzentrationslager und dem Kanzlerbungalow als Symbol der jungen Bundesrepublik adressierte Prof. Dr. Elke Nagel. Die Abgrenzung gegenüber der gebauten Machtdemonstration der NS-Zeit prägte die Bauten der Bonner Republik, so auch das Empfangs- und Wohngebäude des Bundeskanzlers: Demut, Offenheit, öffentliches Leben als Garant demokratischen Verhaltens, um mit der neuen Architektur unmissverständlich aufzuzeigen, dass der nationalsozialistischen Ideologie kein Platz in der Gesellschaft eingeräumt werden soll und darf. Bis heute hat die Vermittlung der baulichen Zeugnisse der NS-Gewaltherrschaft nicht an Dringlichkeit verloren. 

Prof. Andreas Emminger moderierte die Diskussion mit vertiefenden Fragen und vergleichenden Beobachtungen zu den exemplarisch vorgestellten Bauten. Welche architektonischen „Bausteine“ drücken zu unterschiedlichen Zeiten Demokratie aus? Was lässt sich daraus für heutige Planungsprozesse lernen – sowohl im Maßstab der Siedlung wie des einzelnen (repräsentativen) Bauwerks? Gerade die Leistungsfähigkeit hinsichtlich Integration und Inklusion der frühen Migrantensiedlungen bergen großes Potenzial für die zukünftige Städteplanung. Aber auch die Ideale von Gleichheit und Transparenz, wie sie sich u. a. in Hannes Meyers Werk der Bundesschule zeigen, sind beispielhaft für gemeinschaftsstiftende und demokratiestärkende Architektur. Diskutiert wurde auch der notwendige Grad des öffentlichen Zugangs und der Revision dekorativer oder gestalterischer Elemente als spürbare Zeichen der gesellschaftlichen Wirksamkeit von Architektur, sowie als Zeichen des Wandels der politischen Eigenwahrnehmung. Ein reger Austausch mit dem Publikum entwickelte sich zu der Frage, wo und wie demokratische Räume im eigenen Umfeld wahrgenommen werden. Zum Abschluss bat der Moderator um kurze Statements aus der persönlichen Perspektive zu Lehren, die aus den demokratischen Bauideen des 20. Jahrhunderts für die Architektur von morgen gezogen werden können.

Die Podiumsteilnehmenden (Foto: Lucia Maier, OTH Regensburg).
Die Podiumsteilnehmenden (Foto: Lucia Maier, OTH Regensburg).