OTH-Lehrinnovationsprofessur 2023

Prof. Dr. Martin Pohl im Interview

 

Herr Prof. Dr. Pohl, was machen Sie in Ihrer Innovationsprofessur?

Die umfangreichste Tätigkeit besteht in der Neugestaltung der Vorlesungsunterlagen zur Analysis. Das Skript soll sich zum einen zum Selbststudium durch die Studierenden eignen, entweder im Rahmen von Leseaufträgen beim Einsatz aktivierender Lehrmethoden oder zum Nacharbeiten der Inhalte bei traditionell abgehaltenen Lehrveranstaltungen. Zum anderen soll es den Studierenden zeigen, dass die Mathematik nicht einfach vom Himmel fällt, sondern dass vieles mühsam erarbeitet werden muss. Dieser Aspekt bleibt in den meisten mir bekannten Lehrbüchern verborgen.

Daneben konzipiere ich eine neue Lehrveranstaltung, in der die Studierenden lernen sollen, wie Mathematik lernen funktioniert. Diese Tätigkeiten werden durch die formativen Assessments ergänzt, mit deren Hilfe die Studierenden ihren eigenen Kenntnisstand einschätzen können.

 

Wie könnten andere Lehrende, Studierende und Forschende (der OTH) von Ihren Projekten profitieren?

Zunächst evaluiere ich die in dem Skript und der Lehrveranstaltung implementierten Innovationen. Diese Ergebnisse können den Lehrenden als Denkanstoß dienen.

Das überarbeitete Skriptum soll als Lehrbuch der Analysis veröffentlicht werden, was den Studierenden der OTH und anderer Hochschulen zugutekommt. Die grundlegenden Ideen möchte ich auf das Lehrmaterial für die Veranstaltung „Analysis für Informatiker“ übertragen, auch die Analysis-Veranstaltungen in anderen Ingenieurstudiengängen können diese Ideen nutzen.

 

Was hat Sie motiviert eine Lehrinnovation verwirklichen zu wollen?

Meine Beobachtung der Schwierigkeiten der Studierenden in der Studieneingangsphase. Hier sind mir zwei Dinge besonders aufgefallen: Zum einen fällt den Studierenden die genaue mathematische Arbeitsweise schwer. Zum anderen höre ich immer wieder die Bemerkung „ich kann das ja vielleicht nachvollziehen, von allein wäre ich da aber nie draufgekommen.“

 

Wieso haben Studierende in der Studieneingangsphase häufig Schwierigkeiten mit der mathematischen Arbeitsweise im Hochschulbereich und können ihren Lernfortschritt nicht richtig einschätzen?

Die Schwierigkeiten entstehen zum einen durch den substanziellen Unterschied zwischen Mathe an der Schule und Mathematik an der Hochschule. An der Schule werden häufig vorgegebene Rezepte in einer Vielzahl von Aufgaben angewendet, ohne sich Gedanken darüber zu machen, warum die Rezepte gelten und wie diese Rezepte entstehen. In der Hochschule liegt der Schwerpunkt auf dem Verständnis der Konzepte und der Herleitung von Verfahren. Kurz gesagt, an der Schule wird „gerechnet“, was auch immer das heißen mag, und an der Hochschule wird die Frage „warum“ in den Mittelpunkt gestellt. Die Studierenden können ihren Lernfortschritt aus zwei Gründen nicht richtig einschätzen: Zum einen haben sie keine Erfahrungen mit der neuen Herangehensweise in der Mathematik. Zum anderen scheint die Mathematik bei der Präsentation durch die Dozentinnen und Dozenten ganz einfach zu sein. Überspitzt könnte man sagen „Je besser die Erklärungen, umso einfacher empfinden die Studierenden die Inhalte – und umso weniger sehen sie die Notwendigkeit des Lernens."

 

Wo greift Ihre Lehrinnovationsprofessur an? Mit welchen Mitteln wollen Sie den Studierenden unter die Arme greifen und sie beim Studienstart unterstützen?

Ich werde im Skript einige innovative Elemente aufnehmen, die das Selbststudium oder die Nacharbeit von Analysis-Lehrveranstaltungen erleichtern. Zum einen lade ich die Studierenden ein, zentrale Begriffe und Konzepte anhand von Beispielen „nachzuerfinden“. Mit dieser Vorbereitung soll das Verständnis der danach angegebenen exakten Definitionen unterstützt werden. Bei den Beweisen und Beispielen zeige ich den Unterschied zwischen der „Ideenfindung“ und dem mathematisch sauber aufgeschriebenen Ergebnis. Damit wird den Studierenden klar, dass bei den in Lehrbüchern zu findenden Darstellungen der Weg, auf dem Mathematik entsteht, gründlich verwischt wurde und nicht mehr sichtbar ist. Dies liefert eine Antwort auf die Frage „Wie kommt man denn da drauf?“ und entlastet die Studierenden von der Einstellung „Darauf wäre ich nie selber gekommen“. Zur Förderung der Selbsteinschätzung dienen formative Assessments verschiedener Art.