Im Rahmen ihres Vortrags „Kinder in Not - zwischen familiären Notlagen und sozialpädagogischem Ringen um Hilfe“, der am 13. November 2019 stattfand, stellte die Pädagogikprofessorin Prof. Dr. Barbara Seidenstücker von der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg (OTH Regensburg) die Ergebnisse ihrer Studie „Kindeswohl zwischen Jugendhilfe und Justiz – Professionelles Handeln in Kindeswohlverfahren“ in den Mittelpunkt. Dieser Vortrag wurde mittels Livestream auch in die Lernorte Abensberg, Tirschenreuth und Cham des berufsbegleitenden Studiengangs Soziale Arbeit übertragen.
Die Gefährdungslagen für Kinder haben sich in den letzten Jahren nur unwesentlich verändert. Schwierige ökonomische Verhältnisse, Partnerkonflikte, chronische Krankheiten, aber auch überhöhte und unrealistische Erwartungen an das Kind erhöhen das Risiko von Vernachlässigung und körperlicher Gewalt. Die Politik und die Jugendhilfe haben reagiert, es gibt mehr Fachpersonal und auch mehr „Hilfen zur Erziehung“.
„Das Thema Kinderschutz ist in der Gesellschaft angekommen und das diesbezügliche Dunkelfeld hat sich mit hoher Wahrscheinlichkeit verkleinert“, betonte die Referentin Prof. Dr. Seidenstücker. Die Jugendhilfe stehe aber weiterhin vor großen Herausforderungen.
Fachkräfte in einem „hochanspruchsvollen Arbeitsfeld“
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Allgemeinen Sozialen Dienst der Jugendämter bewegen sich in einem „hochanspruchsvollen Arbeitsfeld“. Sie müssen nicht nur aktuelle Notlagen einschätzen, sondern auch Prognosen für künftige Entwicklungen geben können. „Gefährdungslagen entwickeln sich nicht linear“, sagte Prof. Dr. Seidenstücker. Die Fachkräfte in den Jugendämtern müssten nicht nur die möglichen Auswirkungen auf das Kind, sondern auch die Bereitschaft und Fähigkeit der Eltern zur Mitwirkung prognostizieren. Gleichzeitig stünden sie unter dem Druck der Öffentlichkeit, die in manchen Fällen das Jugendamt, das angeblich den Eltern die Kinder wegnimmt, anprangert und in anderen Fällen ein zu spätes Eingreifen kritisiert.
„Wir sind hier auch in der hochschulischen Ausbildung gefordert“, betonte die Professorin der Fakultät Angewandte Sozial- und Gesundheitswissenschaften. „Es geht vor allem um die Stärkung der diagnostischen Kompetenzen“, so Prof. Dr. Seidenstücker. „Wir müssen die Studierenden fachlich gut ausbilden und sie gleichzeitig ermutigen, angstfrei Entscheidungen zu treffen“.
Hilfen zur Erziehung
„Die Problemlagen für Kinder haben sich in den letzten 15 Jahren kaum verändert“, beschrieb Prof. Dr. Seidenstücker die Situation. Sie konnte die Rückmeldungen der Fachkräfte (n = 318) in ihrer aktuellen Studie mit den Zahlen von 1997 vergleichen. Eklatant gestiegen sei allerdings der Anteil von psychisch belasteten Elternteilen. Gründe für diese starke Zunahme könnten allerdings – zumindest zum Teil – auch eine weiterentwickelte Diagnostik oder eine gelungene Enttabuisierung psychischer Leiden sein.
Für vernachlässigte und gefährdete Kinder kann der Allgemeine Soziale Dienst der Jugendämter „Hilfen zur Erziehung“ initiieren – von der Erziehungsberatung über die sozialpädagogisch betreute Tagesgruppe bis hin zur Heimunterbringung. Diese Hilfeleistungen, insbesondere die ambulanten Hilfen zur Erziehung (ohne Erziehungsberatung), sind in den letzten Jahrzehnten stark angestiegen, von 189.009 im Jahr 1991 bis 537.079 im Jahr 2018. Es gibt dabei große regionale Unterschiede: von Bundesland zu Bundesland, aber auch von Stadt zu Stadt. „Es gibt für diese Unterschiede einige Erklärungsansätze, die näher untersucht werden müssen“, sagte Prof. Dr. Seidenstücker. „Voraussetzung ist hier auch eine offene Diskussion zwischen den Verantwortlichen.“
Nächster Vortrag: Weiterbildung in der Wissensgesellschaft
Der Vortrag „Kinder in Not: zwischen familiären Notlagen und sozialpädagogischem Ringen um Hilfe“ war der zweite Vortrag im Rahmen der Ringvorlesung „Soziale Arbeit der Lebensalter“, die von den Verantwortlichen des dezentralen berufsbegleitenden Bachelorstudiengangs Soziale Arbeit organisiert wird.
Das Organisationsteam mit Prof. Dr. Nicolas Schöpf und Prof. Dr. Martina Ortner begrüßten die Zuhörerinnen und Zuhörer vor Ort und auch in den Lernorten Abensberg, Cham und Tirschenreuth. Der Vortrag wurde live übertragen und es konnten aus den Lernorten Fragen an die Referentin gestellt werden. Unter den Gästen am Vortragsort in Regensburg war auch der ehemalige Präsident der OTH Regensburg, Prof. Dr. Josef Eckstein.
Der nächste Vortrag behandelt das Thema "Weiterbildung und Weiterbildungspolitik in der 'Wissensgesellschaft'" und findet am 4. Dezember 2019 statt. Näheres dazu unter den Terminen der Fakultät.