Virtuelle Menschenmodelle nehmen in der Beantwortung biomechanischer Fragestellungen eine immer wichtigere Rolle ein. So befasst sich das Projekt „Geburtshilfe 2.0“ mit der Verringerung von Geburtsverletzungen. Etwa neun Prozent der werdenden Mütter erleiden während des Geburtsvorgangs Verletzungen, die durch eine manuelle, perineale Protektion deutlich verringert werden können. Dafür ist ein spezieller Griff des Geburtshelfers notwendig, für den es momentan noch keine detailliert klinische Beschreibung gibt.
Das Labor für Biomechanik an der Fakultät Maschinenbau der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg (OTH Regensburg) hat es sich zusammen mit der Universität Pilsen zum Ziel gesetzt, ein virtuelles Handmodell zu erstellen, mit dessen Hilfe die optimale Positionierung, Kraftaufwand und Handbewegung des Geburtshelfers während der Geburt simuliert werden kann.
Hierfür wird ein neues Handmodell in der Software AnyBodyTM erstellt und die simulierten Muskelaktivitäten in der Hand mit experimentell gemessenen verglichen, um eine realitätsnahe Muskelrekrutierung zu garantieren. Im nächsten Schritt wird mit dem validierten Handmodell der Griff simuliert und optimiert, um somit gesundheitliche Langzeitschäden bei Müttern zu reduzieren.
Detailliertes Modell des Ellenbogens
In einem weiteren Projekt, das in Kooperation mit der Klinik und Poliklinik für Unfallchirurgie der Universitätsklinik Regensburg durchgeführt wird, wird ein detailliertes Modell des Ellenbogens erstellt. Ziel hiervon ist die Unterstützung von Ärzten bei der Entscheidungsfindung der Notwendigkeit einer Operation bei einer Ellenbogenfraktur. Hierfür werden die Knochengeometrien der Fraktur aus den klinischen CT-Aufnahmen in das Modell importiert und damit die Gelenksreaktionskräfte im Ellenbogen berechnet. Somit können erste Rückschlüsse auf die Stabilität des Gelenks gezogen werden.
Zusätzlich werden bei Patienten im Zuge der klinischen Instabilitätstestung die Muskelaktivitäten gemessen und mit simulierten Szenarien verschiedener Bandverletzungen verglichen. Dies basiert auf der Tatsache, dass bei auftretender Instabilität durch eine Verletzung des Bandapparats Muskeln als Sekundärstabilisatoren einspringen. So könnten die Modelle zukünftig neben der MRT-Bildgebung einen weiteren Beitrag bei der Diagnose von Bandverletzungen liefern.
Beide Modelle können aber über den Kontext des Projekts hinaus auf eine Vielzahl von ergonomischen und medizinischen Fragestellungen angewendet werden.