Das Treffen der Jugendhilfe-Expertinnen und -Experten hat inzwischen schon Tradition. In regelmäßigen Abständen treffen sich ehemalige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Ministerien, Jugendämtern, freien Trägern, sozialwissenschaftlichen Forschungsinstituten sowie emeritierte Professoren und Professorinnen zum fachlichen Austausch. Prof. Dr. Bernd Seidenstücker, unter anderem ehemaliger stellvertretender Vorstandsvorsitzender des Instituts für soziale Arbeit e. V. Münster (ISA), hatte das Programm in Regensburg vorbereitet.
Unter den Teilnehmenden waren unter anderem Dr. Gitta Trauernicht, ehemalige Sozialministerin und derzeitige Vizepräsidentin des SOS-Kinderdorf e.V., Prof. Dr. Dr. h.c. Reinhardt Wiesner, „Vater“ des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (SGB VIII), Prof. Dr. iur. Johannes Münder, Autor zahlreicher Standardwerke des Sozial- und Familienrechts sowie Dr. Robert Sauter, ehemaliger Leiter des bayerischen Landesjugendamts.
Besuch im „Menschen-in-Not-Schutzhaus“
Die hochkarätige Delegation wurde von Regensburgs Bürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer begrüßt und von Bürgermeister Jürgen Huber zu einem Empfang ins „Kurfürstenzimmer“ geladen. Im Mittelpunkt des Programms stand eine fachliche Führung durch das neu eröffnete „Menschen-in-Not-Schutzhaus“ mit Einrichtungsleiter Franz Dorner und eine anschließende Gesprächsrunde unter Leitung von Dr. Volker Sgolik, Leiter des Amtes für Jugend und Familie der Stadt Regensburg.
Talk in der Hochschule
Die wissenschaftliche Sicht auf das „Menschen-in-Not-Schutzhaus“ war am Nachmittag des 11. Oktobers 2019 eines der Themen des „Talks an der Hochschule“, der von Prof. Dr. Bernd Seidenstücker moderiert wurde. Die Absolventin des Bachelor-Studiengangs Musik- und bewegungsorientierte Soziale Arbeit, Melanie Schmidhuber, hatte sich in ihrer Bachelorarbeit mit den konzeptionellen Anforderungen an eine Inobhutnahmeeinrichtung beschäftigt. Ihr Ergebnis: „Es müssen viel mehr einheitliche Standards geschaffen werden“.
Die Bedeutung des Theorie-Praxis-Transfers stellte auch Julia Heitzer heraus. Die Erzieherin, die im Sonderpädagogischen Förderzentrum Bad Kötzting arbeitet, studiert berufsbegleitend Soziale Arbeit (BA BS). „Ich kann heute ganz andere Zusammenhänge herstellen und hinterfrage viel mehr“, betonte Julia Heitzer. Die Studentin würde sich – trotz hoher zeitlicher Belastung vor allem im Prüfungszeitraum – immer wieder für dieses Studium entscheiden. „Für mich als berufstätige Mutter ist es natürlich auch sehr hilfreich, dass es im BA BS zahlreiche Lehreinheiten gibt, die online zur Verfügung stehen oder die in die Lernstandorte übertragen werden“.
Jugendhilfeplanung in Regensburg
„In diesem Raum sitzt das gesammelte Literaturverzeichnis meiner Bachelorarbeit“ sagte Daniel Engelbrecht vom Amt für Jugend und Familie Regensburg. Der Absolvent des Bachelor-Studiengangs Soziale Arbeit hatte sich in seiner Abschlussarbeit mit der „Erfolgsmessung von Hilfen zur Erziehung“ beschäftigt und arbeitet jetzt im Bereich der Jugendhilfeplanung. „Wir haben inzwischen Controllinginstrumente für ambulante Hilfen eingerichtet“, so Daniel Engelbrecht. „Ab einer gewissen Dauer zeigen ambulante Hilfen kaum mehr Wirkung.“ Der Alumni der Fakultät erstellt außerdem Sozialraumanalysen, mittels derer künftige Hilfebedarfe in den unterschiedlichen Stadtteilen besser abgeschätzt werden können.
Anerkennungsgremium für Opfer von Misshandlung und Missbrauch
Weiterer Programmpunkt war die Mitarbeit von Prof. Dr. Barbara Seidenstücker in dem unabhängig arbeitenden Gremium zur Anerkennung zugefügten Leids für Opfer von körperlicher und sexueller Gewalt bei den Regensburger Domspatzen. Gemeinsam mit den Juristen RA Ulrich Weber und Prof. Dr. Knud Hein erarbeitete sie Vorschläge für finanzielle Entschädigungen. „Unsere größte Herausforderung war, Kriterien zu entwickeln, die körperliche und psychische Misshandlungen und deren Folgen bewertbar machen“, betonte Prof. Dr. Barbara Seidenstücker. Das Gremium entwickelte eine Matrix und die unabhängig voneinander erstellten Gutachten kamen sehr oft zum gleichen Ergebnis. „Bei fast 400 Entscheidungen gab es nur sehr wenige Widersprüche“, so Prof. Dr. Barbara Seidenstücker. Die Arbeit an den Fällen ging Prof. Dr. Barbara Seidenstücker sehr nah. „Die Übergriffe waren teils sehr massiv und es handelte sich um ein jahrzehntelang andauerndes System der Angst“.
Interdisziplinäre Zusammenarbeit
Die Expertinnen- und Experten-Gruppe war von Prof. Dr. Klaudia Winkler, Vizepräsidentin der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg (OTH Regensburg), begrüßt worden. Sie stellte die wachsende Bedeutung der Fakultät Angewandte Sozial- und Gesundheitswissenschaften heraus, die in den letzten Jahren nicht nur zahlenmäßig gewachsen war, sondern die auch in der interdisziplinären Zusammenarbeit zunehmend an Bedeutung gewinnt. Prof. Dr. Klaudia Winkler nannte hier exemplarisch die Zusammenarbeit im Bereich der Sozialen Akzeptanzforschung.