Am 24. April 2018 starteten 22 Studierende des Studiengangs Soziale Arbeit der Fakultät Angewandte Sozial- und Gesundheitswissenschaften der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg (OTH Regensburg) um 6 Uhr morgens zusammen mit Prof. Dr. Georg Jungnitsch zu einer viertägigen Exkursion. Das Ziel: verschiedene soziale Einrichtungen, bei denen der Einbezug von Tieren in die verschiedenen Arbeitsansätze sozialer Arbeit eine wesentliche Rolle spielt. So sollte aus praktischer Anschauung die Vielfalt der Einsatzmöglichkeiten für tiergestützte Interventionen vor Ort vermittelt werden.
Der Walnusshof in Wuppertal
Das erste Ziel war der Walnusshof in Wuppertal, eine Einrichtung der Jugendhilfe unter der Trägerschaft von Quo Vadis. Er bietet jugendlichen Mädchen und seit Kurzem auch Jungen die Möglichkeit, dort betreut zu wohnen. Ziel des Walnusshofes ist es, den Bewohnerinnen und Bewohnern (wieder) ein autonomes Leben zu ermöglichen. Annelie und Stefan Döpp leiten auf ihrem Bauernhof eine Jugendhilfestelle, und das mit vierbeiniger Unterstützung.
Nach einem herzlichen Empfang erzählte Gründer Stefan Döpps alles über Entstehung, Struktur und Arbeitsweise der Einrichtung. Besonders interessant waren die Geschichten aus dem alltäglichen Leben am Hof, die der gebürtige Wuppertaler beschwingt zum Besten gab.
Annelie Döpp, ausgebildete Krankenschwester mit Schwerpunkt Psychiatrie und Erzieherin, und Stefan Döpp, ausgebildeter Erzieher, haben beide auch eine Ausbildung zur „Fachkraft für Tiergestützte Interventionen“. Dies setzen sie so um, dass die alltägliche Einbindung der Tiere ohne Zwang im Vordergrund steht, aber ohne dass die Jugendlichen Kontakt mit Tieren haben müssen. Der wesentliche Punkt ist, dass sie sehen, wie ihre Betreuerinnen mit den Tieren umgehen und wie liebevoll sie diese versorgen und pflegen und daraus eine grundlegende Basis auch für die Beziehung zu ihnen gelegt wird. Weitergehende Interventionen werden nicht geplant, sondern aus der natürlichen Begegnung heraus aufgegriffen und gefördert.
Natürlich durfte das Kennenlernen der Tiere, darunter Alpakas, Lamas, Ziegen, Shetlandponys, Hunde, Esel und Stallkätzchen, nicht fehlen, die den Studierenden bei einem Rundgang über die weitläufigen Weiden vorgestellt wurden. „Was wir als positiv erlebt haben, war die Authentizität der Betreuerinnen und Betreuer in ihrer Arbeit und der herzliche Empfang, der uns bereitet wurde. Was wir daraus gelernt haben? Nur weil Tiere drauf sind, ist nicht unbedingt tiergestützte Sozialarbeit drin, so wie man sie vielleicht vermuten würde. Das Konzept der Freiwilligkeit und scheinbar strukturlosen Begegnung kann dabei möglicherweise ein Ansatz sein, der es dem Klientel, mit dem Annelie und Steffan Döpp arbeiten, ermöglicht, förderliche neue Beziehungserfahrungen zu machen“, so das Resümee der Studierenden.
Reittherapie in Bethel
Am nächsten Morgen brach die Gruppe zum nächsten Ziel auf: der v. Bodelschwinghschen Stiftung Bethel. Nach dem herzlichen Empfang durch den Leiter der Reittherapie, Marco Vohmann, führte dieser sowohl theoretisch wie auch praxisbezogen in Geschichte und Tätigkeitsbereiche von Bethel ein.
Vor knapp 150 Jahren wurden die v. Bodelschwinghsche Stiftungen Bethel als Einrichtung für an Epilepsie erkrankte Kinder und Jugendliche gegründet. Heute werden nicht nur Epilepsiepatientinnen und -patienten, sondern auch Menschen mit verschiedenen körperlichen und geistigen Behinderungen und psychischen Beeinträchtigungen betreut. Sowohl alte und pflegebedürftige Menschen als auch Jugendliche mit sozialen Problemen oder wohnungslose Menschen finden in der diakonischen Einrichtung einen Ort zum gemeinsamen Leben, Lernen und Arbeiten.
Insgesamt werden jährlich rund 230.000 Menschen durch Bethel-Angebote behandelt, betreut, gefördert, ausgebildet oder beraten. Mit über 18.000 Mitarbeitenden sind die Stiftungen nicht nur der größte Arbeitgeber in der Stadt Bielefeld, sondern auch das größte Sozialunternehmen in Europa. Bethel gilt zudem als Geburtsstätte tiergestützter Therapie in Deutschland.
Neben der Verhaltens-, Psycho- und Ergotherapie wird in Bethel seit 35 Jahren die Hippotherapie im hauseigenen Reitstall angeboten. Im Rahme der Exkursion wurde die heilpädagogische und therapeutische Arbeit mit den Pferden vorgestellt. Das Angebot ist extern nicht zugänglich. Es richtet sich unter anderem an körperbehinderte Menschen.
Durch die dreidimensionale Bewegung, die auf dem Rücken des Pferdes möglich ist, entsteht ein optimaler Bewegungsablauf. Somit wird etwa eine vorübergehende vollständige Entspannung der Muskulatur bei Spastiken möglich. Dieser Effekt kann durch eine herkömmliche Physiotherapie, etwa auf einem Gymnastikball, nicht erreicht werden. Der Aufstieg auf das Pferd wird bewegungseingeschränkten Menschen durch eine eigens dafür vorgesehene Rampe ermöglicht. Im Traumabereich ist die pferdegestützte Therapie hauptsächlich bei Klientinnen und Klienten mit (sexuellen) Missbrauchserfahrungen oder einer dysfunktionalen Identitätsstörung erfolgreich.
Je nach Indikation sind das Erreichen von mehr Beweglichkeit, (neuen) Handlungskompetenzen und Selbstwirksamkeitserfahrungen angestrebte Ziele. Ebenso kann die Reittherapie als Vorbereitung auf eine Traumatherapie dienen, die jedoch bei 75 Prozent dann gar nicht mehr notwendig ist. Zur Zielerreichung wird eine Therapiedauer von mindestens einem Jahr angesetzt. Ausschlusskriterien sind körperlich medizinische Gründe (z. B. eine Skoliose ab 40 Prozent), eine schwerwiegende Behinderung oder auf psychischer Ebene eine nicht auszuschließende Selbst- und Fremdgefährdung. Ebenso hat die Therapie nur wenige Erfolgsaussichten, wenn der Klient oder die Klientin trotz „Eingewöhnungsphase“ mit ein bis zwei Therapiestunden nicht bereit ist, diese anzunehmen.
Die Pferde, ausschließlich Stuten, werden sorgfältig ausgewählt und weitestgehend, wenn möglich vor Ort ausgebildet. Zum Schutz der Tiere werden sie maximal für zwei Stunden täglich zur Therapie eingesetzt. Als Ausgleich wird für ausreichend Ausritte gesorgt.
Die aktuell 4,5 besetzten Vollzeitstellen sind nicht ausreichend, um dem laufenden Stall- und Therapiebetrieb gerecht zu werden. Aus diesem Grund sind auch Menschen mit Behinderung in die Stallarbeit integriert – ein Alleinstellungsmerkmal der Einrichtung. Dazu gehört die Zusammenarbeit mit dem örtlichen Kinderhospiz, was die einzige externe Geldquelle darstellt. Da es sich um eine Stiftung handelt, die sich eigenständig finanzieren muss, sind öffentliche Publikationen und Spendenaufrufe nicht erwünscht beziehungsweise nicht möglich.
Der therapeutische Tjarkshof
Das dritte Ziel der Exkursion war der therapeutische Tjarkshof in Friedrichskoog. Nach der herzlichen und offenen Begrüßung durch Hofeigentümerin Silke Baumgartner in Begleitung der Hofhunde durften am nächsten Morgen einige Freiwillige der Studierenden bei der Stallarbeit und der Tierfütterung helfen. Nach einem gemeinsamen Frühstück erfuhren die Studierenden in einer Begrüßungsrunde Näheres zur Entwicklung des Hofes und zu dessen Philosophie. Ein Hauptanliegen des Hofes sei es, es Familien mit behinderten Kindern zu ermöglichen, einen entspannten Urlaub in einer angenehmen Atmosphäre zu verbringen. Eine Förderung der Kinder soll eher nebenbei und zwanglos erfolgen, um keinerlei Druck aufzubauen. Zudem sollen deren Eltern durch das Betreuungsangebot entlastet werden, um selbst die schöne Umgebung an der Nordsee erkunden zu können.
Die anfallenden Betreuungskosten können im Rahmen der Verhinderungspflege geltend gemacht werden. Silke Baumgartner ist nicht nur Diplom-Sozialpädagogin, sondern hat auch eine Zusatzausbildung für Heilpädagogisches Reiten. Zunächst arbeitete sie viele Jahre in Portugal, wo sie ein ähnliches Konzept wie nun an der Nordsee anbot. Deshalb stammen auch einige der Tiere des Hofes aus Portugal, andere Tiere stammen aus dem Tierschutz, alle haben hier ein liebevolles Zuhause und werden in der Therapie eingesetzt.
Nach der Vorstellung der Tiere des Hofes bei einem Rundgang - von Pferden und Kaninchen bis zu den Eseln und Ziegen in der großen Tenne – wurde versucht, diese über ein Podest zu führen, was sich zum Teil als schwieriger als gedacht herausstellte. Nach gemeinsamem Mittagessen und einer Wanderung zum etwa vier Kilometer entfernten Wattenmeer führte Silke Baumgartner den Hebelift vor, mit dem Kinder mit Lähmungen auf die Pferde gesetzt werden. Einige der Studierenden durften selbst ausprobieren, wie sich das Schweben in gut zwei Metern Höhe anfühlte.
Zudem erhielt einer der Teilnehmer der Exkursion, der noch nie auf einem Pferd gesessen hatte, die Möglichkeit, einen Einblick ins Reiten und das Spüren der Bewegungen des Pferdes zu gewinnen. Dabei wurde deutlich, über wie feine Sinnesorgane Pferde verfügen, da diese auf das Verhalten des Reitenden eine unmittelbare körpersprachliche Reaktion zeigen und selbst kleinste Spannungen, die für Außenstehende nicht sichtbar sind, erkennen.
Der Jugendhof Godewin
Die nächste Station der Exkursion war der Jugendhof Godewin Richtung Hitzacker. Nach dem Motto „Das Schöne bewundern. Das Wahre behüten. Das Edle verehren. Das Gute beschließen“ begrüßten der Leiter des Hofes, Werner Wecker, und seine beiden Hunde die Studierenden. Werner Wecker, der verschiedene Ausbildungen vorweisen konnte (Landwirtschaftsmeister, Theologe, Psycho- und Reittherapeut), lud die Studierenden ein, die Atmosphäre zu beschreiben, nachdem die Hunde die Gruppe aufgemischt hatten. Durch diese praktische Übung zeigte er, wie sich durch die bloße Anwesenheit von Tieren die Herzen der Menschen öffneten.
Es folgten Infos zur Entstehung des Hofes, der nur mit Unterstützung zahlreicher Freiwilliger so werden konnte. Als Arche-Hof schützt der Jugendhof Godewin, der seit 2002 besteht, zugleich vom Aussterben bedrohte Tierarten. Momentan leben dort rund 30 Tiere, von Kaninchen über Ziegen und Schafe bis zu Pferden und Kühen. Zur Hofgemeinschaft zählt das Ehepaar Britta und Werner Wecker sowie ihre Kinder und Enkel. Das pädagogische Angebot des Hofes richtet sich an Kinder und Jugendliche, die als schwer erziehbar vom Jugendamt vermittelt werden.
Für eine Zeit von einem bis sechs Monaten besteht die Möglichkeit des Probewohnens. Oft entscheidet sich erst hier: „Jugend-Knast oder Leben auf dem Hof.“ Ziel ist es, die Jugendlichen zu unterstützen, ihre Krisen zu überwinden, und sie auf eine positive Zukunft vorzubereiten. Durch die familiäre Atmosphäre hat das Team schon oft eine Veränderung der Jugendlichen hin zu kooperativem Verhalten erreicht, stets mit Unterstützung der Tiere. Der Hof bietet den Kindern einen engen Kontakt zur Natur, sie helfen bei der Versorgung von Hund und Huhn, beim Ziegenmelken, Schafe-Scheren und haben die Möglichkeit, an der Reittherapie teilzunehmen.
Das Angebot von Godewin umfasst zusätzlich Urlaub für Familien, Aus- und Fortbildungskurse und Wanderungen mit Tieren durch das Elbtal. Damit der Verein alle Arbeiten stemmen kann, sind viele Freiwillige, Studierende oder Auszubildende aus der Landwirtschaft willkommen.
Für die Regensburger Studierenden stand nach der Gesprächsrunde eine persönliche Hofführung auf dem Programm, bei der Werner Wecker herzerwärmende, aber auch kuriose Fallgeschichten aus der Begegnung zwischen Mensch und Tier erzählte. Auf der Kuhweide lernten die Studierenden unter anderem, dass man täglich vier Umarmungen zum Überleben, acht zum Leben und zwölf zum Glücklichsein benötigt.
Zur Freude aller lud Wecker die Gruppe dazu ein, in freie Begegnung mit der Pferdeherde und dem betagten Esel zu gehen. Im Freilauf der Tiere ließen sich die unterschiedlichen Charaktere beobachten, auch konnte man auf Fellfühlung gehen. Für Mutige bot sich die einmalige Gelegenheit, Einblicke in die Reittherapie vom Pferd aus zu bekommen. Der Reittherapeut erklärte am praktischen Beispiel die Wirkung des Tieres auf Kinder und Jugendliche. Besonders interessant war die Beobachtung der Gesichtszüge der Reitenden, die sich beim Reiten immer mehr entspannten und Glück ausstrahlten. Zum Abschluss gab Sozialpädagogin Britta Wecker einen Einblick in das ursprüngliche Leben, wie Landwirtschaft vor weniger als 100 Jahren überwiegend betrieben wurde, als noch Pferde und Rinder pflügend über die Äcker zogen.
Der Jugendhof Godewin erstreckt sich auf einer Fläche von zehn Hektar. Die Hälfte davon wird mit Pferden und Rindern bewirtschaftet, Maschinen gibt es auf dem Hof nicht. Nach dem selbstständigen Aufschirren der zwei Pferde durften die Studierenden beim Ebnen des Bodens auf ursprüngliche Art und Weise tätig werden. Gemeinsam mit den drei Ziegen marschierte die Gruppe aufs Feld. Diese schweißtreibende und zugleich erfüllende Aufgabe in Zusammenarbeit mit den Tieren wird im Alltagsgeschehen überraschenderweise gerne von den Jugendlichen übernommen. Auch hier ist seitens der Leitung des Hofes eine umfangreiche Ausbildung sowohl im Einsatz als auch im Umgang mit den Tieren nötig.
Nach dem Besuch auf dem Jugendhof Godewin waren die Studierenden und Dozent Prof. Dr. Georg Jungnitsch von dessen Einzigartigkeit im weltweiten Vergleich überzeugt. „Hier werden Wildheit, Freiheit, Liebe und Vertrauen gelebt. Es geht nur darum, mit dem Herzen zu entscheiden“, so das Resümee.
Resümee: Notwendigkeit weitgehender Ausbildung
Als abschließendes Resümee lässt sich festhalten: Durch den Einblick in vier ganz verschiedene soziale Einrichtungen, die Soziale Arbeit mithilfe unterschiedlichster Tiere anwenden, konnte eindrucksvoll verdeutlicht werden, dass ohne weitgehende Ausbildung tiergestützte Interventionen in der Sozialen Arbeit nicht möglich sind. Tiergestützte Interventionen fördern neben dem Aufbau von Vertrauen in der Mensch-Tier-Beziehung auch die Inklusion. Auch Kinder mit schweren Behinderungen hatten in den Einrichtungen die Chance, an den Angeboten mit teilzunehmen.
So verschieden die Institutionen auch waren, so einzigartig, spannend und interessant war jede auf ihre eigene Art und Weise. Die Arbeit war stets durch die unterschiedlichen Ansätze, Hintergründe und Persönlichkeiten der Leitenden geprägt. Durch die große Bandbreite konnten die Studierenden sicher auch ihren persönlichen Favoriten für sich mitnehmen. Auch hinsichtlich der Intensität der tiergestützten Interventionen lässt sich im Gesamtvergleich der besichtigten Institutionen resümieren, dass es große Varianzen gibt: von eher losen Formen der Begegnung zwischen Tier und Mensch wie beim Walnusshof bis zum durchstrukturierteren Einsatz etwa in Bethel.
Mit einer Förderung machte die Fakultät diese sehr lehrreiche und nachhaltige Erfahrung für die Studierenden möglich.