Inklusion – für Rainer Schliermann bedeutet das, willkommen zu sein und nicht etwa geduldet. An der OTH Regensburg hat er von Anfang an das Gefühl gehabt, mit offenen Armen empfangen worden zu sein. Hier ist der 45-Jährige seit diesem Sommersemester an der Fakultät Angewandte Sozial- und Gesundheitswissenschaften Professor für Erziehungswissenschaften und sozialwissenschaftliche Forschungsmethoden.
Noch ist es hin und wieder eine Herausforderung für ihn, sein Büro im dritten Stock in der Seybothstraße auf Anhieb zu finden: „Hier gibt es zwei Treppenaufgänge; das ist schon mal schwierig für mich“, sagt Prof. Schliermann. Eine Frühgeborenenretinopathie hat ihn auf dem linken Auge komplett erblinden lassen, auf dem rechten Auge sieht er noch wenige Prozent. „Alles, was neu ist, ist schwierig“, sagt er. Er orientiere sich an markanten Punkten und versuche, sich Wege so gut es geht einzuprägen. Seine Dauerlaufstrecke jedenfalls kennt er schon sehr gut. „An dem großen Baum vorbei, nach dem Spielplatz rechts, dann bist du schon unten an der Donau“ – regelmäßiges Lauftraining und Kräftigungsübungen stehen bei ihm auch heute noch auf dem Programm. Im Jahr 2000 hat er als Mittelstreckenläufer bei den Paralympics in Sydney vierte Plätze auf den beiden Mittelstrecken (800 Meter und 1500 Meter) sowie der 4x400-Meter-Staffel belegt. Sport und Wissenschaft – das sind die beiden Themen, die sich durch sein Leben ziehen.
Begonnen hat Prof. Schliermanns akademische Laufbahn mit einem Studium der Sozialpädagogik an der FH Würzburg-Schweinfurt. Seinen zweiten Abschluss erwarb er an der Universität Bamberg in den Fächern Erziehungswissenschaft, Kommunikationswissenschaft (Journalistik) sowie Psychologie. In beiden Diplomarbeiten beschäftigte er sich mit der Stressbewältigung bei Fußballtrainern. Dieses Thema verfolgte er auch in seiner Dissertation: Den Dr. phil. in Sportwissenschaft erhielt er im November 2004 für die Entwicklung eines Selbstlern-Programms zur Burnout-Prävention bei Fußballtrainern. „Ich bin einfach fußballbegeistert“, sagt Prof. Rainer Schliermann zu diesem Forschungsschwerpunkt.
Seine Begeisterung und sein überaus großes Interesse für den Sport im Allgemeinen schlugen sich letztlich sogar in seiner Habilitation nieder: Als Post-Doc am Arbeitsbereich Sportpsychologie und Sportpädagogik der Universität Halle-Wittenberg setzte er sich mit psychischen Leistungsvoraussetzungen im Rollstuhlbasketball auseinander, was ihm im November 2010 die Ernennung zum Privatdozenten einbrachte. Es folgten Stationen als wissenschaftlicher Leiter des Forschungsinstituts für Inklusion durch Bewegung und Sport (FIBS) an der Deutschen Sporthochschule Köln (An-Institut) und eine Vertretungsprofessur für „Exercise Psychology“ bzw. Sportpsychologie an der Sportwissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig. Ein glatter Lebenslauf also?
Ganz so sieht es Prof. Rainer Schliermann nicht. Mehrere Berufungsverfahren habe er bereits durchlaufen – und bei so manchen sei offenbar geworden, dass es mit der gleichberechtigten Einstellung von schwerbehinderten Menschen nicht weit her ist. „Wenn man die Stellen nach Leistungskriterien vergibt, ist das ja ok. Aber ich habe einige Male feststellen müssen, dass nur meine Behinderung der Grund für eine Ablehnung gewesen sein konnte.“ Umso mehr freut er sich nun auf seine Aufgaben, die ihn an der OTH Regensburg erwarten.
Bis er richtig loslegen kann, muss sich Prof. Schliermann allerdings noch gedulden. Sein Arbeitsplatz muss noch seiner Sehbehinderung entsprechend eingerichtet werden. So wartet er derzeit auf ein portables Kamerasystem, mit dem ihm das Lesen von Drucksachen erleichtert wird, sowie Bildschirme, die er nah ans Auge heranziehen kann. Auch im Hörsaal wird er möglicherweise technische Unterstützung benötigen. Seinen Studierenden erklärt er zu Beginn ganz offen, was es mit seiner Sehbehinderung auf sich hat – schließlich treffe man sehr selten auf einen Professor wie ihn.
„Die Quote hochqualifizierter, schwerbehinderter Akademiker im Hochschulbereich ist sehr niedrig. Da ist es nicht schlecht, wenn ich hier ein bisschen Vielfalt reinbringe.“ Auch das Wahlfach-Angebot wird durch Prof. Dr. Rainer Schliermann vielfältiger: Erstmals können sich Studentinnen und Studenten der Sozialen Arbeit unter fachkundiger Leitung mit dem „Behindertensport“ auseinandersetzen. Und auch Lehrangebote in Sportpsychologie könnte er sich in der Zukunft gut vorstellen (etwa im Rahmen des Bachelorstudiums der Physiotherapie).