Menschen mit einer neurologischen Sprachstörung (Aphasie) erfahren eine signifikante Verbesserung ihrer Lebensqualität, wenn sie in einer Selbsthilfegruppe mitwirken, die von Betroffenen selbst geleitet wird. Das ist das zentrale Ergebnis des Forschungsprojekts „Selbsthilfegruppenarbeit bei Aphasie zur Steigerung der Lebensqualität und Kompetenz“ (shalk).
Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit 500.000 EUR geförderte Projekt wurde gemeinsam von der Hochschule Fresenius in Idstein und der Katholischen Hochschule Mainz in Kooperation mit der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg (OTH Regensburg) durchgeführt. Im Rahmen eines Symposiums, das am 18. Januar 2019 an der Hochschule Fresenius in Idstein stattfand, präsentierten Wissenschaftlerinnen jetzt erste Ergebnisse.
Insgesamt 126 Betroffene nahmen an dem auf drei Jahre angelegten Forschungsprojekt teil. Sie verteilten sich auf bundesweit neun verschiedene Selbsthilfegruppen. Die Leiterinnen beziehungsweise Leiter der Gruppen wurden in intensiven Schulungen auf ihre Aufgabe vorbereitet. Jeweils nach einem halben Jahr maßen die Wissenschaftlerinnen anhand des Aachener Lebensqualitätsinventars (ALQI) die Entwicklung hinsichtlich objektiver Beschwerden und subjektiver Belastungen.
Positive Veränderungen durch Selbsthilfegruppen
„Die Beschwerden der Personen mit Aphasie reduzierten sich im Verlauf des ersten Jahres der Studie, in dem eine intensive, aber schrittweise abnehmende Begleitung stattfand, erheblich. Das betrifft gleichermaßen den kognitiven, psycho-sozialen und sprachlichen Bereich“, erläuterte Prof. Dr. Norina Lauer, die Mitinitiatorin des Forschungsprojekts ist. „Kaum Veränderungen waren bei den physischen Beschwerden festzustellen, das haben wir aber auch nicht erwartet.“
Noch deutlicher waren die positiven Veränderungen bei den Probandinnen und Probanden, was die subjektiven Belastungen angeht, also in dem Bereich, in dem es vor allem um Empfindungen und die persönliche Einstellung zu den objektiven Beschwerden geht. „Wir stellen eine signifikante Steigerung der Lebensqualität fest“, so Prof. Dr. Lauer weiter.
Ein wesentlicher Bestandteil des Konzepts von shalk ist neben der Leitung der Selbsthilfegruppe durch Betroffene deren bewusste Trennung von den Angehörigen. Die Vorgehensweise stieß anfangs auf Skepsis. Schon nach kurzer Zeit wich diese aber bei den meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmern großer Akzeptanz. „Druck und Scheu nehmen ab, der Mut, sich aktiv in die Selbsthilfegruppe einzubringen, steigt. Das führt zu einem Gefühl, wieder auf eigenen Beinen zu stehen, ohne fremde Hilfe etwas erreichen zu können“, sagte Prof. Dr. Lauer. Reinhard Denk, selbst nach einem Schlaganfall betroffen, konnte dies nur bestätigen: „Über die Teilnahme am shalk-Projekt weiß ich, dass ich mich um viele Dinge selbst kümmern und ausprobieren kann. Es ist außerdem wichtig, etwas im Team zu machen und sich gegenseitig zu helfen.“
Wichtiger Faktor: Biografiearbeit
Verändert hat sich in wenigen Monaten auch das Moderationsverhalten der Gruppenleiterinnen beziehungsweise Gruppenleiter. Videoanalysen zeigen, dass sie zu Beginn die Gespräche noch stark koordinierten und die anderen Betroffenen zum Mitmachen auffordern mussten. Mit der Zeit etablierte sich eine erfreuliche Gesprächskultur mit gut gelingendem Sprecherwechsel. Die Rolle der Leitenden ist nun weniger steuernd.
Das hängt auch mit den Inhalten zusammen: Diese sind bei shalk im Gegensatz zu anderen Konzepten auf die Biografiearbeit ausgerichtet. „Die Betroffenen sprechen über ihr eigenes Leben, ihre Erfahrungen vor und nach dem Ereignis, das die Aphasie ausgelöst hat; darüber, wie es vorher war, Freunde zu finden, und wie es heute ist“, so Prof. Dr. Sabine Corsten, die aufseiten der Katholischen Hochschule Mainz verantwortlich für das Projekt ist. „Die enge Verbindung mit dem eigenen Schicksal und der Dialog mit gleichsam Betroffenen führt zu einem regen Austausch untereinander.“ Das Konzept zur Schulung und das zur Biografiearbeit entwickelte Material sollen nun standardisiert werden und flächendeckend Eingang in die Aphasie-Selbsthilfe finden.
Über die Hochschule Fresenius
Die Hochschule Fresenius mit ihren Standorten in Berlin, Düsseldorf, Frankfurt am Main, Hamburg, Idstein, Köln, München und Wiesbaden sowie dem Studienzentrum in New York gehört mit über 13.000 Studierenden zu den größten und renommiertesten privaten Hochschulen in Deutschland. Sie blickt auf eine mehr als 170-jährige Tradition zurück. 1848 gründete Carl Remigius Fresenius in Wiesbaden das „Chemische Laboratorium Fresenius“, das sich von Beginn an sowohl der Laborpraxis als auch der Ausbildung widmete. Seit 1971 ist die Hochschule staatlich anerkannt. Sie verfügt über ein sehr breites, vielfältiges Fächerangebot und bietet in den Fachbereichen Chemie & Biologie, Design, Gesundheit & Soziales, onlineplus sowie Wirtschaft & Medien Bachelor- und Masterprogramme in Vollzeit sowie berufsbegleitende und ausbildungsbegleitende (duale) Studiengänge an.
Die Hochschule Fresenius ist vom Wissenschaftsrat institutionell akkreditiert. Bei der Erstakkreditierung 2010 wurden insbesondere ihr „breites und innovatives Angebot an Bachelor- und Master-Studiengängen“, „ihre Internationalität“ sowie ihr „überzeugend gestalteter Praxisbezug“ vom Wissenschaftsrat gewürdigt. Im April 2016 wurde sie vom Wissenschaftsrat für weitere fünf Jahre reakkreditiert.
Über die Katholische Hochschule Mainz
Die Katholische Hochschule Mainz ist eine staatlich anerkannte Hochschule (ca. 1.400 Studierende) mit den Fachbereichen Soziale Arbeit und Sozialwissenschaften, Praktische Theologie und Gesundheit und Pflege. Sie nimmt ihre Aufgaben in Lehre, Forschung und Weiterbildung in christlicher und gesellschaftlicher Verantwortung wahr. Trägerin ist die Gemeinnützige Gesellschaft zur Förderung von Wissenschaft und Bildung mbh der(Erz-) Bistümer Köln, Limburg, Mainz, Speyer und Trier.