Geschlechterforschung und Gender Studies sind das Resultat ungleicher Geschlechterverhältnisse. Mithilfe wissenschaftlicher Befunde zeigt sich, dass der gender pay gap, d.h. Lohnlücken zwischen Frauen und Männern von mehr als 20 Prozent, die Abwesenheit der Väter bei der Kindererziehung oder die schlechten Arbeitsbedingungen in dem sogenannten Frauenberuf „Pflege“ kein Zufall, sondern die Folge von strukturellen Ungleichheiten, Geschlechterrollen und Diskriminierungen sind.
Auch an der OTH Regensburg gibt es ein Team von Genderforscherinnen, die daran forschen und arbeiten diese Zusammenhänge sichtbar zu machen und Lösungswege zu entwickeln. Zu diesem Team gehören: Prof. Dr. Clarissa Rudolph, Nina Brötzmann (M.A.), Katharina Pöllmann-Heller (M.A.), Katja Schmidt (M.A.) und Veronika Rösch (M.A.) sowie die studentischen Hilfskräfte Annika Hrubesch, Wolfgang Keim und Verena Leisinger.
Prof. Dr. Clarissa Rudolph betont: „Wir verwahren uns gegen die permanenten Angriffe auf die Geschlechterforschung und die Gender Studies und freuen uns, dass sich die OTH Regensburg aktiv und offensiv gegen Wissenschaftsfeindlichkeit und Frauenhass einsetzt. Gleichzeitig wünschen wir uns, dass sich noch mehr Kolleginnen und Kollegen für die Integration von Geschlechter- und Gleichstellungsperspektiven in Lehre und Forschung einsetzen.“
Das Team widmet sich in zwei Projekten insbesondere den Fragen der geringen Repräsentanz von Frauen in MINT-Studiengängen und -Berufen (BMBF-Projekt seit dem 1. November 2017) und den "Arbeitsbedingungen und der Interessenvertretung von Pflegekräften in Bayern“ (Projekt seit dem 1. Juni 2015). In dem Pflegeprojekt, das vom bayrischen Wissenschaftsministerium im Rahmen des Forschungsverbundes ForGenderCare (acht Hochschulen, zwölf Teilprojekte) gefördert wird, liegen erste Zwischenergebnisse vor.
„Pflege macht man aus Liebe zum Beruf“
PFLEGENOTSTAND. FACHKRÄFTEMANGEL. KRISE DES PFLEGEBEREICHS. Diese Schlagworte zeigen, dass das Thema der Arbeitsbedingungen von Pflegekräften mittlerweile auch in den aktuellen politischen Debatten angekommen ist. Eine Problematik, die den Alltag von bezahlter Pflegearbeit dominiert: „Man arbeitet nach Minuten, nach bestimmten Vorgaben und der Mensch ist einfach keine Maschine, den man so vorprogrammieren kann und bei Knopfdruck irgendwelche Tätigkeiten ausüben kann“.
Arbeitsverdichtung, permanenter Druck, Flexibilisierung und geringe Wertschätzung der Arbeit prägen den heutigen Alltag von Pflegekräften in stationären und ambulanten Bereichen. Diese Schilderungen aus dem Arbeitsalltag, die die von einem Regensburger Forscherinnenteam befragten Pflegekräfte in Interviews zu ihren Arbeitsbedingungen zu Protokoll gaben, verweisen auf schwierige Arbeitsbedingungen und eine vergleichsweise hohe Unzufriedenheit damit.
Auch wenn die Pflegekrise für alle Betroffenen gilt, also Pflegekräfte, Kranke und Angehörige, stehen in dem an der OTH Regensburg angesiedelten Forschungsprojekt „Arbeitsbedingungen und Interessenvertretung von Pflegekräften in Bayern“ die Pflegekräfte im Mittelpunkt. „Eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Pflege verbessert auch die Pflege selbst und nutzt deshalb allen Beteiligten“, so die Projektleiterin Prof. Dr. Clarissa Rudolph. „Und außerdem kann damit auch mehr Gerechtigkeit für Frauen und im Hinblick auf gesellschaftliche Fürsorgepraxen umgesetzt werden“, fügt Katja Schmidt, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt, hinzu.
Dass die Arbeitsbedingungen so prekär sind, ist – so lautet die Ausgangsthese des Projekts – auf zwei Ursachen zurückzuführen: zum einen zeigt sich darin die geringe gesellschaftliche und ökonomische Anerkennung von sog. Frauenarbeit. „Also die Frauen, die sind es gewohnt, dass sie alles machen. Möglichst für nichts“, fasst eine Krankenpflegerin im Interview zusammen. Zum anderen hat die Ökonomisierung und der daraus resultierende Druck dazu geführt, dass aus Sicht der Beschäftigten immer weniger „gute Pflege“ stattfinden kann.
Was tun?
Was tun? Der klassische Weg zur Verbesserung von Arbeitsbedingungen erfolgt in Deutschland über die Tarifparteien, aus Sicht der Beschäftigten also über die Gewerkschaften und Verbände. Deshalb überrascht es immer wieder, wenn man sieht, wie niedrig die gewerkschaftlichen Organisierungsgrade der Beschäftigten im Gesundheitswesen sind. In den Interviews mit den Pflegekräften hat sich herausgestellt, dass es ein großes Maß an Skepsis gegenüber den Interessenvertretungen gibt: zu teuer und zu wirkungslos seien die Organisationen. Aber auch die Mittel zur Interessendurchsetzung sind schwierig: „Ja, ja, Sie haben natürlich ein Recht auf Streik, aber Sie müssen halt schauen, dass jemand die Patienten versorgt".
Zudem, und das zeigt sich eindrucksvoll in den Interviews, wünschen sich die befragten Pflegekräfte selten mehr Geld. Es geht ihnen viel stärker um mehr Zeit für die Pflegebedürftigen und darum, dass ihre Fachlichkeit und Professionalität anerkannt wird. In anderen Bundesländern wird deshalb diskutiert (und in Rheinland-Pfalz schon umgesetzt), ob Pflegekammern – analog zu Ärztekammern – der Pflege und den Pflegekräften zu mehr Selbstbewusstsein, gesellschaftlicher Anerkennung und politischer Mitsprache verhelfen können. Der sogenannte Bayerische Weg, die Einrichtung der Vereinigung der Pflegenden in Bayern wird aufgrund der unklaren Wirkungsmöglichkeiten durchaus kritisch gesehen. Was sich die bisherigen Interessenvertretungen und Verbände von diesem Weg versprechen und worin ihre Kritik besteht, wird in der zweiten Forschungsphase des Projekts erhoben.
So oder so, auch das zeigt sich bisher, können weder die Arbeitsbedingungen noch die Interessenvertretung von häuslichen Pflegekräften, die oft aus dem Ausland kommen, mit den klassischen Bedingungen von Pflege verglichen werden. So unterstützen sich die sog. 24-Stunden-Pflegerinnen oft untereinander, sind aber insgesamt sehr isoliert. Dass sie oft im rechtlichen Graubereich agieren, erhöht die Unsicherheit ihrer Arbeitsverhältnisse. Auch dieser Arbeitsbereich wird im Forschungsprojekt analysiert. Da es viel zu wenig Pflegeplätze gibt und da die meisten Menschen immer noch am liebten zuhause gepflegt werden wollen, sind bessere Pflegebedingungen in der häuslichen Pflege von höchster Relevanz für die gesellschaftspolitische Pflegeverantwortung.
Aktuelle Projekte der Genderforschung an der OTH Regensburg
Forschungsprojekt: „Arbeitsbedingungen und Interessenvertretung von Pflegekräften in Bayern“. Gefördert vom Bayerischen Wissenschaftsministerium im Rahmen des Forschungsverbundes ForGenderCare. Projektleitung: Prof. Dr. Clarissa Rudolph. Wissenschaftliche Mitarbeiterin: Katja Schmidt, Studentische Hilfskräfte: Annika Hrubesch, Wolfgang Keim, alle OTH Regensburg, Fakultät für Angewandte Sozial- und Gesundheitswissenschaften. Laufzeit: 1. Juni 2015 – 31. Mai 2019.
Forschungsprojekt: „MINT-Strategien 4.0 – Strategien zur Gewinnung von Frauen für MINT-Studiengänge an Hochschulen für angewandte Wissenschaften“. Gefördert vom BMBF. Projektleitung: Prof. Dr. Clarissa Rudolph. Wissenschaftliche Mitarbeiterinnen: Nina Brötzmann und Katharina Pöllmann-Heller, Studentische Hilfskraft: Verena Leisinger, alle OTH Regensburg, Fakultät für Angewandte Sozial- und Gesundheitswissenschaften. Laufzeit: 1. November 2017 – 31. Oktober 2020.
Schwerpunkt: Förderung der Geschlechterforschung und der Gender Studies. Gefördert durch das Professorinnenprogramm II (BMBF). Wissenschaftliche Leitung: Prof. Dr. Clarissa Rudolph in Kooperation mit der Zentralen Servicestelle „Gender und Diversity“ (Prof. Dr. Christine Süß-Gebhard, Sabine Hoffmann). Wissenschaftliche Mitarbeiterin: Veronika Rösch, OTH Regensburg, Fakultät für Angewandte Sozial- und Gesundheitswissenschaften.
Aktionstag #4genderstudies
Beim bundesweiten Aktionstag Gender Studies am 18. Dezember twittern beteiligte Wisenschaftlerinnen und Wissenschaftler über ihre Aktivitäten zur Geschlechterforschung unter dem Hashtag #4genderstudies.